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Das Buch der Richter
Der Titel jenes biblischen Buches ist etwas irreführend. Die als Richter bezeichneten Frauen und Männer, deren Erlebnisse hier unter anderem erzählt werden, waren keine Juristen im heutigen Sinne. Sie stellten vielmehr (zeitweilige) Führungspersönlichkeiten in zivilen und militärischen Dingen dar.
Der Autor des Richter-Buches ist unbekannt. Bisweilen wird als Verfasser der Prophet Samuel angenommen. Er war die letzte Führungspersönlichkeit dieser Epoche und installierte auf Wunsch des Volkes schließlich eine Königsherrschaft. Samuels Geschichte ist im Buch der Richter allerdings nicht enthalten, sondern wird später separat berichtet.
Dieser siebente Abschnitt des Alten Testaments ist voller Geschichten und setzt zunächst nahtlos die Erzählung aus dem Buch Josua fort. Dennoch ist das Richter-Buch nur bedingt geeignet, um die weitere Historie des Volkes Israel zu erfassen. Die Handlung setzt unmittelbar nach Josuas Tod ein. Dabei wird deutlich, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht das ganze Land Kanaan erobert war. Solange Josua und andere Führungspersönlichkeiten seiner Generation lebten, blieb das Volk offenbar den Gesetzen Gottes treu. Doch dann kam es zu einer fatalen Vermischung mit den Götzenkulturen der kanaanitischen Völker. Dies äußerte sich eben auch darin, dass die Israeliten keine vollständige Eroberung betrieben, sondern auf Koexistenz setzten. In der Folge rächte sich dies, denn die solchermaßen diplomatisch behandelten Gegner versuchten nun ihrerseits, das Volk Israel kulturell, wirtschaftlich und militärisch auszurotten.
Das Buch der Richter lässt sich allerdings nicht als fortlaufende Geschichte erfassen. Die Aneinanderreihung der angegebenen Zeiträume ließe sich ansonsten aufgrund der dabei entstehenden Länge historisch nicht einordnen. Vielmehr spiegelt das Buch der Richter nicht nur inhaltlich, sondern auch durch seine Struktur, die neuen Gegebenheiten wider, denen das Volk Israel ausgesetzt war: Über 40 Jahre lang (während der Wüstenwanderung und der anschließenden Eroberungsphase) hatte es einheitlich agiert. Doch nun besiedelten die zwölf miteinander verwandten Familienverbände (Stämme) jeweils eigene Gebiete.
Vor diesem Hintergrund werden die Geschichten des Richter-Buches verständlich. Der ständige Wechsel zwischen Götzendienst, Notlage und Befreiung erzählt offenbar regionale Ereignisse, welche zeitgleich oder zumindest versetzt passierten. Bisweilen wird dies in einigen Geschichten deutlich, wenn sich die Stämme gegenseitig helfen oder Konflikte untereinander austragen. Der erste Eindruck, dass die Israeliten die meiste Zeit ihrem Gott ungehorsam waren, täuscht also offenbar. Überwiegend dürfte der Glaube an den Gott Israels mehr oder minder stark ausgeprägt praktiziert worden sein. Anders lässt sich der Fortgang der Geschichte in den folgenden Büchern der Bibel nicht erklären. Der Glaube an den einen Gott sowie die mosaischen Gesetze blieben ja in Reinform erhalten.
Die bekanntesten Figuren des Richter-Buches dürften Gideon und Simson sein. Beide waren tragische Helden, welche großartige Siege und Gotteswunder erlebten, aber am Ende dennoch geistlich scheiterten. Über das wiederkehrende Schema der Richter hinaus, welche ihr Volk aus der Not führten, erzählt dieses Buch noch weitere, bisweilen schwer verdauliche Geschichten. Sie zeigen auf, welche demoralisierende Wirkung die Anbiederung an kanaanitische Götzenkulte und die Zersplitterung des Volkes hatten. Das Buch der Richter endet daher mit der Feststellung: „Jeder tat, was ihm recht dünkte“ (Übers. n. Luther 1984).