Das Hohelied

„Dein Schoß ist wie ein runder Becher…“,

„Deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen…“

„Die Rundung deiner Hüfte ist wie Halsgeschmeide…“

Sätze wie diese finden sich häufig in den gerade einmal acht Kapiteln des Hoheliedes. Kein Wunder, dass dieses einzigartige Stück orientalischer Poesie oft schon als zu sinnlich für ein biblisches Buch angesehen wurde. Dennoch hat es nun aber einmal seinen Platz in der Heiligen Schrift, ebenso wie im jüdischen Tanach. Offenbar waren die jüdischen und christlichen Glaubensväter nicht so weltfremd und prüde, wie man es ihnen bisweilen andichtet.  

Spätere Theologen hatten damit vermutlich deutlich mehr Probleme, denn sie deuteten das gesamte Hohelied als Metapher für die Beziehung zwischen Gott und der Gemeinde. Obwohl dies zumindest teilweise auch eine Lesart sein kann, würde eine ausschließlich geistliche Deutung doch ziemlich unlogische Herleitungen erfordern. Das Hohelied kann daher zwar durchaus als Sinnbild der Beziehung zwischen Gott und den Gläubigen genutzt werden. Dennoch bleibt es in erster Linie eine Sammlung nahöstlicher Liebesgedichte.

Der erste Vers benennt Salomo als den Verfasser. Auch einige weitere Zeilen lassen sich zumindest auf ihn beziehen oder nennen sogar seinen Namen. Es ist jedoch auch möglich, dass Salomo bereits vorhandene Dichtungen aufgriff und durch eigene Verse ergänzte. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass der Text keinen wirklich schlüssigen Plot erkennen lässt. Es fehlt sozusagen der Rote Faden. Als Konstante erscheint allerdings immer wieder der Sehnsuchtsgedanke.

Die weibliche Hauptfigur wird nur einmal namentlich genannt: Sulamith. Dies kann sowohl ein realer Name sein als auch auf den Herkunftsort des Mädchens hindeuten. Eine weitere Erklärung besagt, dass es sich dabei um einen literarischen Kunstgriff handelt. Demnach wäre Sulamith schlichtweg die verweiblichte Form des Namens Salomo, um dessen poetischen Gegenpart zu benennen.

Trotz der recht plastischen Beschreibung körperlicher Attribute ist das Hohelied keineswegs ein frivoles Buch. Vielmehr erzählt es von reiner Liebe und tiefen Empfindungen in der ausschweifend blumigen Sprache des Orients. Einmal mehr zeigt sich hier, dass die Bibel keine wirklichkeitsfremde Ideologie verkörpert, sondern die Aspekte menschlichen Lebens und das daraus resultierende Handeln sehr genau wiedergibt.