Das Buch Jeremia

Das Buch des Propheten Jeremia ist (abgesehen von den Psalmen) der längste Abschnitt der Heiligen Schrift, obwohl sein Vorgänger, das Buch Jesaja, mehr Kapitel aufweist. Jeremias Botschaften richten sich vor allem an die Menschen seiner Zeit. Der Text steht nur teilweise in der Ich-Form. An anderen Stellen wird vom Propheten in der dritten Person gesprochen. Daraus lässt sich ableiten, dass Jeremia zwar der Verfasser, nicht aber der alleinige Schreiber des Buches war. Tatsächlich wird mehrfach ein gewisser Baruch erwähnt, der im Auftrag Jeremias dessen Worte aufschrieb (u. a. im Kapitel 36). Baruch war ein Beamter am Jerusalemer Königshof. Seine Existenz wurde archäologisch nachgewiesen.

Vorrangig geht es in den Weissagungen und Gleichnissen um das Südreich Juda. Dessen Abwendung von Gott, die Aufforderung zur Umkehr, die Verheißung des Strafgerichts sowie die dennoch bestehende Verheißung eines Neuanfangs bilden den thematischen Hintergrund des Buches Jeremia. Doch auch anderen, nicht minder verdorbenen Völkern, wird das Strafgericht geweissagt. Strukturell beinhaltet das Buch Jeremia sowohl geschichtliche als auch prophetische Angaben. Gegen Ende des Buches wird durch eine Wiederholung allerdings der chronologische Ablauf unterbrochen. Generell sollte man zum besseren Verständnis der Texte den historischen Hintergrund kennen:

Der Prophet wirkte während epochaler Umwälzungen. Die assyrische Weltmacht befand sich im Niedergang und wurde schließlich durch das aufstrebende Neubabylonische Reich abgelöst. Die einzige andere verbliebene Großmacht des Nahen Osten, Ägypten, schwächelte erheblich und verlor außerhalb seiner Grenzen im Prinzip jeglichen Einfluss. Zwischen diesen beiden Mächten befanden sich geografisch wie machtpolitisch die Kleinstaaten Palästinas, darunter eben auch das Südreich Juda. Die jüdischen Könige zur Zeit Jeremias versuchten daher immer wieder, die für sie günstigste Allianz herauszufinden.

Da sie prinzipiell nicht auf den Propheten Jeremia hörten, setzten Judas Herrscher regelmäßig auf die falschen Partner. Insgesamt dreimal im Abstand von ungefähr zehn Jahren eroberte Babylons mächtiger Herrscher Nebukadnezar daher die Hauptstadt Jerusalem.

Beim ersten Mal wurden dabei die jungen Leute der Oberschicht Jerusalems, quasi die nächste Elite-Generation, nach Babylon verschleppt. Sie erhielten dort eine umfassende Ausbildung, um als Beamte am Königshof zu dienen. Nebukadnezar indoktrinierte so die künftige Intelligenzschicht der Juden in seinem Sinne. Unter diesen Weggeführten befand sich auch der spätere Prophet Daniel.

Die zweite Eroberung Jerusalems endete mit der Plünderung des Tempels und der Stadt. Zudem wurden alle Angehörigen der Oberschicht in die Gefangenschaft weggeführt. Zu diesen Verschleppten gehörte der Prophet Hesekiel.

Nach der dritten Eroberung wurden Jerusalem und der Tempel Salomos komplett zerstört. Das Buch Jeremia bildet damit eine wichtige Ergänzung zu den Berichten der Könige-Bücher.

Von keinem anderen Propheten der Bibel wird so viel Persönliches berichtet wie von Jeremia. Er entstammte einer Priesterfamilie aus dem Örtchen Anatot. Sein Vater hieß Hilkija. Da so auch der Urgroßvater Esras hieß (Esra 7,1), könnte Jeremia theoretisch der Bruder von Esras Großvater gewesen sein. Diese bisweilen anzutreffende Vermutung erscheint jedoch nicht sonderlich plausibel, denn Jeremia wurde rund 150 Jahre vor Esra geboren. Lediglich drei Generationen während einer solchen Zeitspanne dürften eher unwahrscheinlich sein. 

Mitunter nennt man Jeremia auch den „weinenden Propheten“. Sein Leben ist geprägt durch eine Dramatik, die sich aus Unverständnis, Anfeindung und Einsamkeit speist. Obwohl Jeremias Weissagungen eintreffen, stößt er weiter auf Ablehnung und erlebt immer wieder persönliches Scheitern.

·       Die eigene Verwandtschaft will ihn zum Schweigen bringen.

·       Er erlebt Mordanschläge und Gefangenschaft.

·       Bei Herrschern und Untertanen erntet er nur Unglauben.

·       Er gerät mit falschen Propheten in Konflikt, die lieber König und Volk nach dem Mund reden.

·       Zeitlebens bleibt Jeremia allein.

·       Vergeblich bittet er Gott um Entlassung aus dem Prophetendienst, weil es ihm zu schwer wird.

Als alle seine Vorhersagen eingetroffen sind, bleibt Jeremia als einer der wenigen Juden vom babylonischen Zwangsexil verschont. Unter den Zurückgebliebenen brechen jedoch Unruhen aus, in deren Verlauf der regionale Statthalter ermordet wird. Den Menschen, die daraufhin nach Ägypten fliehen wollen, weissagt Jeremia im Auftrag Gottes, dass sie dort alle umkommen werden. Doch sein Rat, in Palästina zu bleiben, wird missachtet. Schlimmer noch: Sie nehmen Jeremia gewaltsam nach Ägypten mit. Nach außerbiblischen Quellen wird der Prophet dort ermordet.

Jeremias an Dramatik reiche Geschichte hinterlässt ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Es zeigt sich damit, dass zwischen Gottestreue und irdischem Wohlergehen nicht automatisch Kausalität herrscht. Demzufolge ist Leiden auch nicht zwingend die Folge von Sünde. Ein Gedanke, der auch in den Büchern Hiob und Habakuk aufgegriffen wird. Sein unbedingter Einsatz für Gott, der Aufruf zur Umkehr und das als unverdient empfundene Leid machen Jeremia quasi zur alttestamentlichen Parallele der Jesus-Geschichte.